
Das Bozner Franziskanerkloster wurde um das Jahr 1221 gegründet und ist somit eines der ältesten, wenn nicht gar das älteste aller Franziskanerklöster im deutschen Sprachraum. Im 13. Jahrhundert waren neben den Dominikanern auch die Franziskaner als „studierende Orden“ Träger der Wissenschaft. Die Gelehrsamkeit galt als wichtiges Fundament von Apostolat und Predigt, was auch die Einrichtung einer eigenen Bibliothek erforderlich machte.
Im Mittelalter zählte die Bibliothek der Franziskaner in Bozen zu den größten und wichtigsten im Land. Aus ihrer frühesten Zeit hat sich allerdings nichts erhalten, da das Kloster und mit ihm auch Archiv und Bibliothek dem Stadtbrand von 1291 zum Opfer fielen. Kloster und Kirche wurden daraufhin in gotischem Stil wieder errichtet. Im Jahre 1632 bezog die historische Bibliothek ihren heutigen Standort im ersten Stock, was eine an der Tür angebrachte Tafel bezeugt.
Die Bibliothek blieb zwar von der Josephinischen Aufhebung verschont, jedoch nicht von den Plünderungen in der Franzosenzeit. Auch die stattliche Inkunabelsammlung ist mutmaßlich in dieser Zeit dezimiert worden. Zu der ursprünglichen Zahl der Inkunabeln im Besitz der Franziskanerbibliothek gibt es unterschiedliche Angaben: So soll die Bibliothek laut dem ehemaligen Bibliothekar P. Bruno Klammer über 900 Inkunabeln besessen haben und eine der größten Inkunabelsammlungen im süddeutschen Raum gewesen sein. Laut Pizzala besaß die Franziskanerbibliothek im Jahr 1870 noch 172 Inkunabeln, Dörrer spricht im Jahr 1934 von 634 Früh- bzw. Wiegendrucken – wobei diese Zahl vermutlich auch Postinkunabeln bis 1525 einschließt. Anfang der 2010er-Jahre entdeckte der damalige Guardian, P. Bernard Holter, einen vierbändigen, historischen Bibliothekskatalog aus dem frühen 19. Jahrhundert, der rund 250-300 Inkunabeln verzeichnet. Heute besitzt die Franziskanerbibliothek noch 17 Inkunabeln.
Im 20. Jahrhundert erlitt die Klosterbibliothek durch die Kriegswirren herbe Verluste. Alle nur erdenklichen Bedrohungen sind ihr laut Klammer widerfahren, so z.B. „die Klosterbombardierungen und die Auslagerung der Bestände im Zweiten Weltkrieg (wobei einiges verlorenging), die katastrophale Raumenge und Überfüllung, welche seit Jahrzehnten jede Neuordnung, Neukatalogisierung und öffentliche Benützung verunmöglicht hat. Selbst die Veräußerung von Beständen, wie z.B. aufgrund der Nachkriegsverarmung (Zerstörung von Kirche und Klosterteilen im Krieg), ist dieser historischen Bibliothek nicht erspart geblieben.“ (Zitat Klammer, Franziskanerbibliothek Bozen – ein Projekt, S. 87). Zahlreiche Inkunabeln und Frühdrucke mit der Provenienz Franziskanerkloster Bozen sind heute über den ganzen Erdball verstreut.
In den 1980er-Jahren wurde ein nicht mehr genutzter Gebäudeteil, das ehemalige Refektorium, zu einem Bibliothekstrakt mit Lesesaal und zwei unterirdischen Büchermagazinen umgebaut. In diesen Büchermagazinen sind u.a. die während des Krieges ausgelagerten Bibliotheksbestände, Zeitschriften und Buchnachlässe von verstorbenen Mitbrüdern untergebracht.
Neben der klostereigenen historischen Bibliothek, die ca. 65.000 Bände zählt, beherbergt das Franziskanerkloster in seinen Kompaktanlagen aber auch noch andere Bibliotheksbestände – vornehmlich von (z.T. aufgelassenen) Franziskaner- und Kapuzinerklöstern:
- Franziskaner Kaltern
- Franziskaner Innichen
- Franziskaner Klosterlechfeld
- Bibliothek Mamming
- Kapuziner Bozen
- Kapuziner Mals
- Kuratie St. Martin Signat
Die Bozner Franziskanerbibliothek kann heute als Zentralbibliothek für franziskanische Bestände in Südtirol angesehen werden. Der ursprüngliche Plan, diese historische Bibliothek mit franziskanischem Schwerpunkt öffentlich zugänglich zu machen, konnte jedoch nicht verwirklicht werden.
Anfang bis Ende der 2000er-Jahre wurden alle im Franziskanerkloster gelagerten Buchbestände im Rahmen des EHB-Projektes erfasst.